Mi. 12 Jan., 2011
Ziellos stromerten Sven und ich am Sonntag Abend
durch die Videothek unserer Wahl. Etwas Lustiges oder mit opulenten
Bildern sollte es werden. Tatsächlich nahmen wir die Dokumentation
„Neukölln unlimited“ mit.
Der Film beschäftigt
sich weniger mit dem Problembezirk als mit den Jugendlichen Lial
(19), Hassan (18) und Maradona (14) Akkouch. Im Libanon geboren,
flüchtete die Familie bürgerkriegsbedingt 1990 nach Deutschland, wo
sie seitdem geduldet werden – eine nette Umschreibung für „Du
könntest jederzeit abgeschoben werden“. Was Lial, Hassan und
Maradona keinesfalls wollen, denn sie sind das, was alle Medien,
Politiker und Deutschen fordern: Ausländer, die deutsch sprechen
und sich voll in die Gesellschaft einbringen.
Obwohl die – sehr gelungene – Filmmusik immer wieder
mitreißt, bleibt es ein Film der nachdenklichen Momente: Er zeigt
eine ganz normale Familie, die mal liebevoll, mal besorgt
miteinander umgeht. Nur, dass es so erscheint, als wollten die drei
vor der potenziellen Abschiebung alles Leben in sich aufsaugen:
Lial macht eine Ausbildung in einer Boxerschmiede, singt und tanzt
nebenbei, Hassan lernt für sein Abitur, gibt Breakdance-Unterricht,
bestreitet Tanz-Wettbewerbe und gibt sein Wissen bereitwillig an
andere Jugendliche weiter, damit sie nicht auf die schiefe Bahn
geraten. Und Maradona, der Aufsässige, kämpft seinen eigenen Kampf
gegen sich und die Ablehnung seiner Umwelt. Er ist es auch, der den
Vorwurf entkräftet, „Neukölln unlimited“ wäre wieder so ein
weichgespülter Multikultitraum – denn Maradona spielt mit Waffen,
ist in einer Gang und wird immer wieder von der Schule verwiesen –
bis er endlich begreift, dass er sich wie das Klischee verhält.
Die Schlüsselszene war für mich, als
Hassan auf einer Veranstaltung mit dem Berliner Innensenator
Ehrhart Körting über Integration diskutiert – denn längst hatte die
Härtefallkommission die Akkouchs für ihre vorbildliche
Eingliederung gelobt und ihr Bleiben gefordert, allein Körting
lehnte das Gesuch ab. „Wenn Sie unseren Namen im Internet eingeben,
werden Sie sehen, dass an unserer Familie nichts falsch ist“, sagt
Hassan, „und doch wurden wir abgeschoben. Und dann sind wir
wiedergekommen und man hat trotzdem wieder versucht, uns
abzuschieben.“ Körting reagiert betont distanziert und sachlich: Er
erklärt, dass viele Familien aus dem Libanon eingereist sind,
teilweise nachgeschleust wurden und den Staat betrogen hätten (um
es mal nett zu sagen). Es wirkt, als wollte der Politiker sich
nicht mit den unnötigen Emotionen des Themas belasten.
Hmm, dachte ich aber auch, tatsächlich zeigen
Rückblenden mehrfach, wie die Familie abgeschoben wurde und im
Libanon litt, aber wie sie wieder nach Deutschland kam, bleibt ein
Rätsel. Auskunft gibt ausgerechnet ein Artikel aus der Taz:
„Schlepper haben ihnen nach Deutschland zurückgeholfen. Über die
Umstände und die Kosten gibt keiner aus der Familie Auskunft. Dass
sie traumatisch gewesen sein dürften, kann man sich selbst
zusammenreimen“, schreibt das Blatt bereits 2006.
Darf eine Familie illegal nach Deutschland einreisen und dann auf
ein dauerhaftes Bleiberecht hoffen? Darf das Ausländerrecht über
gelungener Integration stehen, macht es die Forderungen nach
Integration nicht zu einer Farce? Es bleiben einige Fragen offen am
Ende dieses Films. Aber das fand ich nicht schlecht.
Mein Fazit: Ein sehr bewegender Film, der mit
grandioser Musik, atemberaubenden Breakdance-Einlagen und
authentischen Protagonisten aufwarten kann. Erzählmittel wie
Zeichentrick, Rückblenden und ein Hassan, der seine Geschichte wie
ein Buch vorträgt, verschaffen Spannung und Abwechslung. Zwar gibt
es kein Happy End, aber man hat das Gefühl, bei der nächsten
Diskussion um Integration nicht nur die Mainstream-Argumente in der
Hand zu haben.
Agostino Imondi und
Dietmar Ratsch: Neukölln Unlimited (2010). 96 Minuten.
http://www.neukoelln-unlimited.de/
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