Mo. 31 Mai, 2010
Die Relativität der Zeit – oder: eine Minute kann lang sein.
published by Christian Comments (0) Filed under: Meinungen und BeobachtungenSonntag, 30.05.2010, Berlin, U-Bahnhof Leopoldplatz. Es ist 17.15 Uhr. Ich bin verabredet und schon spät dran. Denke zwar, ich bin nicht zu spät losgegangen, aber die Verspätungen, Fußwege und verpassten Verbindungen summieren sich. Nun laufe ich gerade die Treppen zur U9 runter. Daisy, das Verkehrsinformationssystem der BVG, zeigt an: Noch eine Minute bis zur U9 Richtung Rathaus Steglitz. Prima. Bis Zoo braucht die Bahn knapp 18 Minuten. Mit Fußmarsch zum Adenauerplatz wird es zwar knapp, aber die Verspätung wird im akzeptablen Rahmen bleiben.
So stehe ich da und denke. Und warte. Deutlich mehr als eine Minute. Es wurde 17.17, 17.18, 17.19… und dann 17.25 Uhr, als die Bahn endlich einfährt. Zwischenzeitlich fällt mir die sehr pragmatische Definition von „UhrZeit“ ein, sinngemäß aus dem lückenhaften Gedächtnis: „Uhrzeit ist die gesellschaftliche Vereinbarung, verabreden zu können, wann etwas ist.“
Die Daten von Daisy sind recht up-to-date, soweit ich weiß wird mittels Transponder die erwartete Abfahrtszeit interpoliert. Was sämtliche Verkehrsunternehmen mit dieser Technik, so auch die Münchener S-Bahn, durch das Ausblenden konkreter, absoluter Minutenangaben erreichen möchten, ist klar: Es sollen möglichst wenig Verspätungszeiten auffallen und die Fahrgäste verärgern.
Aber ob es das richtige Mittel ist, Zeit zu „beugen“? Die gesellschaftliche Übereinkunft zu seinem Nicht-Nachteil „tweaken“? Das wird nicht nur nicht auffallen, sondern da es die gesellschaftliche Vereinbarung ist und alle Menschen betrifft, negative Bewertungen nach sich ziehen.
Solche Zeitangaben sollten aus Verbrauchersicht absolut, also realtime, sein, selbst, wenn die Verspätungen kein gutes Licht werfen.
Noch folgende Anekdote: Schlimmer als das sind die Ansagen auf Münchener S-Bahnhöfen mit dummen Sprachautomaten. Es verlängert sich selbst beim Herunterfallen des Himmels die voraussichtliche Eintreffszeit auf 5, 10, 15 und 20 Minuten. Dann, ja dann ist  die nächste S-Bahn dran. Der Leser hat es sicherlich erraten: Die Ansage beginnt wieder bei 5 Minuten. Als frisch eingetroffener Fahrgast auf (mittlerweile durch Verzweiflung) geräumtem Bahnsteig ist so nicht zu ermitteln, dass man besser zuhause bliebe.
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